Abschied vom Unterwasserberg

Mit senkrechten Felswänden und tief eingeschnittenen Klüften steigt er schroff aus dem Dunkel empor - der mächtige Unterwasserberg im Bodensee. Doch nun werden die letzten, landseitigen Zugänge zu diesem Naturwunder geschlossen - vereinnahmt von den Vorbereitungen der Landesgartenschau im Jahr 2020. Ein Abschied von einem Ort voller Erhabenheit...

Schon manches Seemannsgarn wurde um den Unterwasserberg im Bodensee gesponnen. Es gibt so viele Angaben zu seiner "genauen" Position und Tiefe, dass sich zuweilen der Eindruck aufdrängt, der Berg wandere auf dem Seegrund umher.

 

Doch nicht grundlos tragen so viele Erzählungen und Geschichten zur Legende um diesen Tauchplatz bei. Wer die zerklüfteten Wände, die steilen Flanken, die zackigen Vorsprüngen und die tiefen Einschnitten des Berges je mit eigenen Augen gesehen hat, den erfasst vom ersten Augenblick an die Besonderheit dieses faszinierenden Ortes. 

Vor Ort

Für gewöhnlich wird der Unterwasserberg Unterwasser mit Scootern angetaucht. Unseren letzten Besuch sollte aber - in Erinnerung an unsere ersten Tauchgänge an diesem Spot - besonders werden. Daher beschlossen wir, die rund 350 Meter zu unserem Ziel an der Oberfläche zurück zu legen und im Freiwasser direkt zum Berg hinab zu tauchen. Ein Tauchkompass wäre bei dieser Entfernung zum Ufer für eine Einmessung der Position allerdings zu ungenau. Daher war der exakte Abtauchpunkt auf "alte Art" durch Kreuzpeilung zu bestimmen. Hierfür standen uns drei verifizierte Peilmarken zur Verfügung.

 

Glücklicherweise herrschte am Morgen unseres Vorhabens beste Tauchbedingungen. Ein Boot lag etwas abseits unseres Tauchplatzes treibend im Wasser, ohne dabei seine Position gegenüber dem Ufer wesentlich zu verändern. Dies war ein gutes Indiz für eine geringe Oberflächenströmung. Daher wurde beschlossen, ohne weiteres Zögern mit der Vorbereitung des Tauchgangs zu beginnen. Wie wir am geplanten Einstig feststellen mussten, war allerdings eine unserer Peilmarken - ein am Ufer befindlicher Mast an der Bahntrasse - bereits den Vorbereitungen zur Landesgartenschau zum Opfer gefallen. Zu unserem Glück hatten wir bereits früher die genaue Position in einem Lageplan vermerkt und konnten so anhand der vorhandenen Bebauung eine neue Peilung festlegen.

 

Die Annäherung

Nach dem Verbringen der Ausrüstung und den obligatorischen Checks, schwammen wir an der Oberfläche nach Süden Richtung Seemitte. Dabei sicherten wir in vorab festgelegte Richtungen gegen sich annähernde Boote und Schiffe. Abermals nicht zu unrecht, wie sich herausstellte: nach rund 15 Minuten, kur vor Erreichen des Abtauchpunkts, passierte uns eine Passagierfähre der "Weißen Flotte" in kurzer Entfernung - allerdings nicht in Richtung Seemitte, sondern bereits uferseitig. Dies vermittelt einen sehr plastischen Eindruck , wie weit der Unterwasserberg tatsächlich vom Ufer entfernt ist. Nach einer nochmaligen Überprüfung der Ausrüstung gaben wir das finale "OK" und das Zeichen zum Abtauchen.

Der Abstieg

Wir waren bereits weit Richtung Seegrund hinabgesunken, als das Gipfelplateau des Berges bei rund 33 Metern in Sicht kam. Dieses ist zwischen fünf und zehn Meter breit und zieht sich leicht abfallend rund 50 Meter von West nach Ost. Der Berg weist dabei an seinen Kanten nahezu rechte Winkel auf. Bei unserer Ankunft taten sich direkt unter uns die tiefen Spalten auf, die das Felsmassiv in unterschiedlich große Teile zerschneiden. Wir folgten den Spalten südseitig bis zu ihrem unteren Ende und drehten dann Richtung Seemitte ein. Hier fällt der Berg auf seiner gesamten Länge schroff ab bis zu einer Halde aus feinem, hellem Sediment.

 

Die mächtige Südwand

An der südlichen Steilwand des Berges angekommen, ließen wir uns hinab in die Tiefe gleiten - der Fels fällt dort an seiner tiefsten Stelle auf über 55 Meter ab. Gegen der Uhrzeigersinn begannen wir mit der Umrundung des Massivs. Mächtig erhob sich die Südwand über uns und zeichnete sich dunkel gegen das Grün des Wassers ab. Wie schon so oft, überkam uns hierbei der Eindruck, nicht an einer natürlichen Gesteinsformation zu tauchen, sondern an einer urzeitlichen, archaischen Festung - horizontale Gesteinsschichten durchziehen den Fels wie Mauerwerk und seine Kanten stehen teils so senkrecht, als wären sie mit einem Lot ausgemessen. Wie bewehrte Zinnen ziert zerfurchtes, zackiges Gestein das obere Ende.

Der östliche Canyon

Nach diesem Schauspiel steigt der Seegrund am östlichen Ende des Unterwasserberges auf rund 45 Meter an. Hier finden sich in gestuften Spalten nahezu immer Trüschen und - je nach Jahreszeit - auch zahlreiche Aale.  Nach hinreichender Begutachtung machten wir uns auf den Weg zur Ostwand. Hier trafen wird am Seegrund auf den quadratischen, abgesetzten Felsen, der in Zusammenspiel mit den senkrechten Gesteinswänden des Unterwasserberges einen kleinen Canyon bildet. Dieser weist in seiner Mitte einem Rechten Winkel auf und verjüngt sich hin zu seinem nördlichen Ausgang. Dieser Spalt ist von Tauchern einzeln und hintereinander gerade noch zu betauchen.

Die Nordseite

An der Nordwand entlang machten wir uns auf den Weg zurück Richtung Westen, zu dem großen Einschnitt, der den Unterwasserberg in zwei Hälften teilt. An dieser Stelle spring die Wand in einem 90-Grad-Winkel mehrere Meter nach Norden Richtung Überlinger Seeufer hervor und führt dann nach einem erneuten Knick weiter Richtung Westen. Ab hier beginnt der Teil des Berges, der am weitesten an die Wasseroberfläche heranreicht.

 

Auf dem Gipfel

Nach kurzer Zeit schneidet sich linkerhand ein weiterer, schmaler Canyon schräg aufsteigend in den Felsen ein, der nach einer überhängenden Felsnase am oberen Ende auf dem westlichen Gipfelplateau endet.  Wir steigen langsam im Canyon auf und drehen nach rechts Richtung Gipfel ein. Hier befindet sich in rund 33 Metern der höchstaufragende Punkt des Unterwasserberges. An dieser Stelle, mit vielen horizontal verlaufenden Gesteinsplatten, beobachteten wir ausgiebig die dort Schutz suchenden Trüschen und Krebse und nutzten die Zeit für unseren ersten Deepstop. Nach insgesamt mehr als einer halben Stunde am Berg, begannen wir mit dem Aufstieg.

 

Der Rückweg

Mit einem wehmütigen Blick zurück sahen wir langsam die letzten Umrisse im Grün des Sees unter uns verschwimmen. Nach einem Gaswechsel auf 21 Metern setzten wir unseren Dekompressionsaufstieg schwimmend fort. Nach Kompasskurs ging es durch das Freiwasser  zurück Richtung Norden. Nach rund 20 Minuten erreichten wieder die Steilwand des Überlinger Seeufers. Hier wechselten wir auf 6 Metern nochmals die Gase, betrachteten die zahlreichen Süßwasserschwämme an der Wand und beendeten nach insgesamt etwas mehr als 85 Minuten den Tauchgang am vorgesehenen Ausstiegspunkt.

Abschied für immer?

Glücklich über das Erlebte und betrübt über den Abschied zugleich, sannen wir dem Tauchgang und unseren Erinnerungen nach. Die Zeiten, in denen der Unterwasserberg von Land aus mit Flossen oder Scooter "einfach" erreicht werden konnte, sind zumindest einstweilen vorbei. Natürlich lassen wir es damit nicht bewenden und werden diesen Spot auch zukünftig betauchen. Eine entsprechend neue Variante wurde bereits erarbeitet. Mit einer Anlaufstrecke von rund 1,3 Kilometern Unterwasser und einer Tauchzeit von mehr als zwei Stunden kommt hierbei allerdings deutlich mehr Ausrüstung zum Einsatz - also ganz klar wieder etwas für unsere Freunde des "großen Bestecks" ;-)

© Alex Demmelmayr

E-Mail: alex@blackwaterdivers.de

Anmerkungen:

- Der Tauchgang wurde OC durchgeführt

- Für eine Teilnahme war die Mindestzertifizierung als TDI Decompression Procedures Diver erforderlich

- Für die neue Variante ist die Mindestzertifizierung als TDI Trimix Diver und TDI Technical DPV Diver erforderlich



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Kommentare: 1
  • #1

    Nini (Dienstag, 20 Oktober 2020 11:45)

    Ein fantastischer Artikel. Macht neugierig darauf, den Unterwasserberg selbst man zu besuchen und zu bestaunen! Obwohl ich am Bodensee das Tauchen gelernt habe und schon sehr häufig in Überlingen war, habe ich zuvor nie etwas von dem Berg gehört. Vielen Dank für den Beitrag!