Jura von Land

Seit mehr als 150 Jahren ruht das Wrack des Schaufelraddampfers "Jura" rund einen Kilometer vom Ufer des Bodensees entfernt auf Grund. Ein lohnender Landtauchgang, bei dem bereits der Weg zum Ziel wird...

Als der stolze Passagierdampfer "Jura" am 12. Februar 1864 in Konstanz ablegte, hat wohl noch niemand an Bord die herannahende Katastrophe geahnt. Wie schon so oft, setzte die Dampfmaschine die mächtigen Schaufelräder in Bewegung und das Schiff nahm langsam Fahrt auf.

 

Zu diesem Zeitpunkt näherte sich auf Gegenkurs bereits der Passagierdampfer "Stadt Zürich". Auf dem Wasser lag an diesem schicksalshaften Tag dichter Nebel. Beiden Schiffen gelang es daher lange nicht, die Position des anderen hinreichend genau zu bestimmen. Auch die getroffenen Vorsichtsmaßnahmen wie Nebelausguck und Hornsignale reichten nicht aus, die nun folgenden Ereignisse abzuwenden.

Der Untergang

Die Jura befand sich auf ihrer geplanten Kurslinie über Romanshorn nach Lindau. Gegen 11 Uhr Vormittags tauchte plötzlich das Schiff "Stadt Zürich" auf Kollisionskurs unvermittelt aus dem Nebel auf. In einem verzweifelten Manöver wurde noch bis zur letzten Sekunde ein Ausweichen versucht - doch es war bereits zu spät. Der Bug der 175 Tonnen verdrängenden "Stadt Zürich" bohrte sich in das Vorschiff der beidrehenden Jura und riss dieses regelrecht auseinander. Der Nebelausguck, der in Erfüllung seiner Pflicht bis Zuletzt auf seinem Posten ausgeharrt hatte, überlebte den Zusammenstoß nicht. Durch den gespaltenen Bug drangen nun Tonnen an eiskaltem Seewasser in den Rumpf ein und besiegelten das Schicksal zweier weiterer Besatzungsmitglieder. Es blieb keine Zeit mehr, das achtern vertäute Beiboot zu Wasser zu lassen - die verbliebenen Passagiere und Besatzungsmitglieder retteten sich Hals über Kopf auf das andere Schiff. Nur etwa vier Minuten nach der Kollision versank die stolze Jura in den Fluten des Bodensees

 

Das Wrack

Heute liegt das Wrack auf ebenem Kiel in rund 38 Metern Tiefe, zirka einen Kilometer von Schweizer Bodensee-Ufer entfernt. Durch die niedrigen Wassertemperaturen und den geringen Sauerstoffgehalt, ist der Erhaltungszustand des Schiffs in Anbetracht seines Alters hervorragend. Zwar wurden Teile des Wracks bei Verklappungen mit Schlamm bedeckt, doch ist der weit größere Teil von Bug bis Heck freiliegend. So verwundert es nicht, dass sich die Jura (trotz ihrer schaurigen Geschichte) zu einem beliebten Tauchziel entwickelt hat - zirka 3.000 Tauchgänge werden dort Jahr für Jahr durchgeführt. Nicht selten sind so mehr als ein Dutzend Taucher am Wrack, die von mehreren Anbietern mit Booten und Schiffen in gemischten Gruppen vor Ort abgesetzt werden.

Der Plan

Aufgrund des oftmals vorherrschenden Trubels, entschlossen wir uns vor geraumer Zeit, bei unseren Besuchen auf Tauchboote zu verzichten und diese außerhalb der üblichen "Geschäftszeiten" durchzuführen. Für unsere Planungen bedeutete dies ein etwas früheres Aufstehen und eine individuellere Annäherung, direkt vom Schweizer Ufer aus. Aufgrund der großen Entfernung des Wracks ist dabei für die Fortbewegung unter Wasser der Scooter das Mittel der Wahl. Da wir in der Regel auch etwas längere Grundzeiten von bis zu einer Stunde am Wrack verbringen, ist der Materialeinsatz OC meist etwas umfangreicher. Zu beachten ist ebenfalls, dass die erforderliche Tauchroute direkt die Schifffahrtslinie Konstanz - Friedrichshafen kreuzt und man dort von großen Fähren überlaufen wird. Nach Abschluss der entsprechenden Planungen und Vorbereitungen sowie dem Verbringen der Ausrüstung waren wir auch 2017 wieder bereit, die Dinge anzugehen.

Der Anlauf beginnt

Ausgerüstet mit einem Doppelgerät D12 und vier Stageflaschen 80 cuft je Taucher begann unser Tauchgang am Schweizer Seeufer, zirka 200 Meter südöstlich des Hafens von Bottighofen. Nach den üblichen Checks an der Oberfläche tauchten wir ab und folgten mit dem Scooter dem flach abfallenden Seegrund Richtung Nord-Ost.  Dabei atmeten wir aus einer unserer Stageflaschen und ließen das Rückengerät für den weiteren Tauchgang zunächst unangetastet. Nach rund 25 Minuten Fahrt strikt nach Kompasskurs hatten wir den geplanten Punkt im Raum bei einer Zieltiefe von 37 Metern erreicht. Hier drehten wir um 90 Grad hart nach Steuerbord. Geplant war fortan ein Zick-Zack-Kurs mit jeweils drei Minuten Laufzeit. Allerding stießen wir bereits nach zirka zwei Minuten auf ein uns bekanntes Teilstück der Reling der Jura. Dieses wurde vermutlich von einem Schleppanker eines Tauchboots vom Wrack abgerissen und befindet sich seitdem querab in west-süd-westlicher Richtung. Ab diesem Punkt war uns die Position unseres Ziels bekannt und wir gingen in den direkten Anlauf über. Nach weniger als einer Minute großer Fahrt über Grund begannen sich schemenhaft dunkle Umrisse abzuzeichnen. Majestätisch und verlassen löste sich langsam der elegante Schiffskörper der Jura vor uns aus dem Grün des Wassers. Wie geplant waren wir die einzigen Taucher am Wrack.

Am Ziel

Vorbei am reich mit Schnitzereien verzierten Bugsteven fuhren wir das Vorschiff entlang. An Steuerbord fällt hier sofort die weit aufklaffende Wunde auf, die die Jura in ihr nasses Grab gerissen hat - wie bei einer riesigen Konservendose sind Teile des Bugs nach außen gebördelt. Überall verbogenes Metall und zersplittertes Holz. Es wird einem sofort gewahr, dass keine menschliche Anstrengung nach dem Zusammenstoß mehr ein Sinken hätte verhindern können. Vorbei an den riesigen Einhausungen der Schaufelräder und hinweg über die Dampfmaschine mittschiffs gelangen wir an das Heck. Hier liegt das Ruder noch immer auf Hartlage, wie in jenem Moment vor über 150 Jahren, als alle Hoffnung auf ein erfolgreiches Ausweichen vergebens war. Die zwei Davids, an denen das Beiboot befestigt war, zeigen heute wie dünne Finger verwaist aber weitgehend intakt ins Wasser. Ein kleines Ruderboot findet sich etwa zehn Meter achtern leicht backbordseitig auf Grund.

 

Ausreichend Zeit für Erkundungen

Noch am Heck der Jura wechselten wir von unseren zur Neige gehenden Bottom-Stages auf das noch volle Rückengerät. Auf dem Weg zurück Richtung Bug fallen die erstaunlich vielen, filigranen Details des Wracks ins Auge, die trotz des fortschreitenden Verfalls durch die Natur und den regen Tauchbetrieb noch vorhanden sind - von der zierlichen Reling über die Treppenaufgänge bis hin zu den Speichen des Schaufelrades und den Toiletten. Auch große Strukturen wie die Kurbelwelle oder der Dampfkessel liegen gut sichtbar frei. Insgesamt verbrachten wir mehr als 60 Minuten vor Ort am Wrack - Zeit die wir nutzten, um ohne Hektik und Gedränge die Szenerie ausgiebig zu genießen.

 

Der Rückweg

Nach rund 90 Minuten Unterwasser war die Zeit gekommen, Abschied von der Jura zu nehmen. Wir begannen unseren Aufstieg mittschiffs auf der Backbordseite und navigierten unter Fahrt nach Kompasskurs zurück Richtung Ufer. Dabei peilten wir bewusst etwas weiter südlich als erforderlich, um ein versehentliches Eintauchen in den Hafenbereich von Bottighofen zu vermeiden. Ebenfalls wurde darauf geachtet, aufgrund des regen Schiffverkehrs, eine Tiefe von 9 Metern bis zum Erreichen des Uferbereichs nicht zu unterschreiten. Nach Gaswechseln auf 21 und 6 Metern sowie dem Ende der geplanten Dekompressionszeit, waren wir nach insgesamt rund 2 Stunden und 40 Minuten wieder zurück an der Oberfläche.

Am Abend des selben Tages feierten wir den erfolgreichen Tauchgang dann ausgiebig mit einer Flasche schottischem Whiskey. Die Marke? Na klar: JURA ;-) !

© Alex Demmelmayr

Anmerkungen:

- Der Tauchgang wurde OC durchgeführt

- Für eine Teilnahme ist die Mindestzertifizierung als TDI Trimix Diver und TDI Technical DPV Diver erforderlich

 

P. S.: Ein Betauchen des Inneren der Jura ist verboten. Neben dem behördlichen Verbot gebietet dies hier vor allem auch der Anstand: das Einbringen von Sauerstoff in ein so altes Holzwrack zählt einfach nicht zu den Besten Ideen und auch CCR-Taucher können leicht Beschädigung im engen Inneren verursachen. Dass dies zuweilen missachtet wird, sollte nicht als billiger Vorwand dienen.